Die meisten von uns kennen das Lied „Bruder Jakob“ noch aus der Schulzeit als eines der ersten, das man im Kanon sang.
Dabei beginnt eine Gruppe und an einer bestimmten Stelle setzt eine zweite Gruppe ein, während die erste mit dem Lied fortfährt.
Am Ende singen vier Gruppen dieselbe Melodie, aber zeitversetzt, so dass nie bei zwei von ihnen dasselbe Motiv erklingt. Aus dieser Verschiedenartigkeit im Zusammenklang entspringt der Reiz dieser Kompositionsform und an ihr kann man gut sehen was die Kompositionsweise des Barock mit auszeichnete.
Denn bis zur Mitte des 18. Jhdt. war diese Schreibweise verbreitet. Heute sind wir gewohnt, dass in der Musik eine Stimme dominiert, im Normalfall die obere, und die anderen sie nur begleiten.
Aber im Barock war es das Ideal, dass jede Stimme ein Eigenleben führt und von sich aus etwas Schönes sagen soll, ohne dabei, scheinbar, Rücksicht auf die anderen zu nehmen.
Diese Kompositionspraxis nennt man Kontrapunkt oder „Note gegen Note“ (Punctus contra punctum). Sie entstand aus der Einstimmigkeit der alten Kirchenlieder, zu denen man am Ende des Mittelalters begann nach bestimmten Regeln Melodien zu komponieren, die zusammen mit ihnen gesungen werden konnten.
Im Barock begann sich das Augenmerk der Komponisten auf das weite Feld der Instrumentalmusik zu richten.
Nicht mehr gebunden an die Grenzen der menschlichen Stimme wurden die Werke im Laufe der Zeit derart komplex, dass es nicht mehr so einfach war den Idealzustand der vollkommenen Unabhängigkeit in allen Stimmen zu erreichen.
Aber trotzdem verkommt keine von ihnen je nur zu einem Mittel, wie es etwa bei den Alberti Bässen der Wiener Klassik der Fall war. Sondern der Komponist versuchte immer jeder von ihr gerecht zu werden und sie ihr je eigenes sagen zu lassen.
Ein entscheidendes Stilmittel der Renaissancemusik war die Imitation, die Wiederholung einer zuvor erklingenden Melodie durch eine neue Stimme. Das Lied „Bruder Jakob“ ist ein gutes Beispiel für eine fortlaufende Imitation.
Eine Weiterentwicklung dieser Kompositionsart, und zugleich die strengste Form der Polyphonie, ist die Fuge.
Wie im Kanon beginnt auch sie mit einem Thema in einer einzigen Stimme, welches dann in allen anderen vorgestellt und durchgearbeitet wird.
Durch die Beschränkung auf ein Thema und eine vom Komponisten zuvor festgelegte Stimmenanzahl ist sie die strengste, aber in der Ausarbeitung des Themas nach vollkommenen Gutdünken des Komponisten eine der freiesten Formen der Musikgeschichte.
J. S. Bach und seine Zeitgenossen stehen am Ende der Entwicklung dieser Form und haben sich in ihren Kompositionen im Allgemeinen an bestimmte Verfahren gehalten.
Wie gesagt beginnt jede Fuge mit der Vorstellung des Themas in einer Stimme. Ist es zu Ende, dann trägt die zweite Stimme das Thema vor und die erste Stimme umspielt sie mit einem Kontrapunkt (einer Gegenstimme).
So geht es weiter bis nacheinander in allen Stimmen die Anfangsmelodie zu hören war, womit der erste Teil der Fuge, die Exposition, zu Ende ist.
Im weiteren Verlauf der Fuge kommt dieser Grundgedanke immer wieder vor, in sämtlichen Stimmen und in allen verwandten Tonarten, je nachdem was der Komponist damit macht.
Er kann verschiedene Zwischenspiele komponieren, in denen die Stimmen frei sind, die die strenge Form entspannen und auf den nächsten Einsatz des Motivs vorbereiten.
Oder er kann die nächste Durchführung bringen, in der wieder das Thema durch alle Stimmen wandert, während es von den anderen umspielt wird.
So wechseln Durchführung und Zwischenspiele einander ab, abhängig von der Form des Themas und dem Geschick des Komponisten.
Obwohl die Fuge so streng klingt mit ihrem andauernden Wechsel von Durchführung und Zwischenspiel gibt es innerhalb der Form eine unbegrenzte Zahl an Möglichkeiten.
Das beginnt beim Thema selbst, das jedes einen eigenen Charakter besitzt der sich durch das Geschick des Komponisten entfaltet.
Und es geht weiter mit den verschiedensten Kompositionstechniken, etwa indem man bei der Durchführung das Motiv nicht durch alle Stimmen wandern lässt (unvollkommene Durchführung) oder indem man die Zwischenspiele verlängert oder verkürzt.
Aber auch indem man mit der Melodie selbst spielt, etwa in dem man sie von hinten spielt, sie spiegelt, erweitert oder verknappt oder in verschiedenen Notenwerten vorträgt.
Manche Komponisten wie etwa J. S. Bach gingen sogar so weit, Fugenthemen auf dem Zahlenwert ihrer Namen aufzubauen oder die Themeneinsätze nach bestimmten außermusikalischen Einflüssen zu bestimmen.
Heute will ich euch nur ein Beispiel aus seiner Feder vorstellen. Das nächste Mal werden wir näher darauf eingehen.
Die Fuge Nr. in 1 C-Dur aus dem wohltemperierten Klavier in einer Aufnahme von F. Gulda. In dieser Aufnahme hört man zuerst das Präludium über das wir schon gesprochen haben und bei 2:08 setzt die Fuge mit ihrem Thema ein.
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