Er ist der wohl bekannteste Narr der europäischen Kulturgeschichte und bis heute das Sinnbild des lustigen Spötters.
Doch sieht man einmal von den Kinderversionen seiner Geschichten ab und beschäftigt sich mit der ursprünglichen Erzählung, dann merkt man bald, dass dieser Till Eulenspiegel vor allem durch eine derbe Unangepasstheit auffällt und mehr Zeichen schierer Boshaftigkeit zeigt, als uns heute lieb ist.
Die historische Person Till Eulenspiegel wurde wahrscheinlich im Jahre 1300 geboren. So heißt es in einem Volksbuch: „Bei dem wald Melme genannt, in dem land zuo Sachsen, in dem Dorf Knetlingen, da ward Ulnspiegel geborn, und sein Vater hieß Claus Ulnspiegel und sein Mutter Ann Witcken.“
Den Großteil seines Lebens verbrachte er im Braunschweiger Land, aber seine Reisen führten ihn, ungewöhnlich für seine Zeit, nicht nur nach Berlin, Ulm und Nürnberg, sondern bis nach Prag und Rom.
Er dürfte um 1350 in Mölln gestorben sein, wo auch seit dem 16. Jahrhundert ein Gedenkstein an ihn erinnert.
Die Geschichten rund um sein Leben waren äußerst beliebt und wurden jahrzehntelang mündlich weitergegeben.
Gesammelt und niedergeschrieben wurden sie allerdings erst um 1510 in der Sammlung „Ein kurtzweilig lesen von Dyl Ulenspiegel, geboren vß dem land zu Brunßwick, wie er sein leben volbracht hat. XCVI seiner geschichten“.
Der Verfasser war vermutlich Hermann Bote, der in Braunschweig als eine Art Beamter lebte. Als gesichert gilt aber nur der Name des Druckers und Verlegers Johannes Grüninger, der das Buch herausgab.
Die Geschichtensammlung verbreitete sich rasch und erfreute sich großer Beliebtheit. So kam es, dass sie bereits im 16. Jahrhundert in viele europäische Sprachen übersetzt wurde, darunter Latein, Französisch, Niederländisch, Englisch und Polnisch.
Im Laufe der Jahrhunderte wurden die Geschichten immer wieder umgeschrieben und an den Zeitgeist angepasst, so dass aus der ursprünglich derben Figur des Till Eulenspiegels ein immer sympathischerer Possenreißer wurde.
Das führte unter anderem auch dazu, dass die ursprüngliche Bedeutung seines Namens vergessen wurde und zugleich auch alle weiteren Assoziationen, die sich daran knüpften.
Heute ist es verbreitet, seinen Namen nur mehr als eine Zusammenfassung der Worte Eule und Spiegel zu begreifen. Wahrscheinlich auch, weil er schon in der ersten Ausgabe der Erzählung mit diesen Attributen in den Händen abgebildet wurde.
Vergessen wird jedoch, dass Eule und Spiegel eine lange Tradition in der europäischen Kulturgeschichte haben und mit ihrer Verwendung immer auch eine bestimmte Bedeutung assoziiert wurde.
So gibt es seit der Antike die literarisch-didaktische Tradition des Spiegels (man denke nur an den Laienspiegel oder den Schwabenspiegel) als Mittel der Selbsterkenntnis. Auch Eulenspiegels Verhalten, Redensarten wörtlich zu nehmen, greift diesen Gedanken des Aufzeigens der Diskrepanz zwischen Soll- und Istzustand deutlich auf.
Nicht zuletzt ist der Spiegel auch ein bekanntes Attribut des Narren. Vielleicht ist auch genau dies die Rolle dieser Figur: der Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten, in dem sich nicht seine, sondern ihre Narrheit spiegelt.
Ganz im Gegensatz zur klar umrissenen Rolle des Spiegels steht das Symbol der Eule.
Nachdem sie im alten Griechenland noch als Vogel der Weisheit galt, wandelte sich ihre Bedeutung im Laufe der Zeit und im Mittelalter sah man in ihr ein Zeichen des Teufels.
Interessant ist, dass bei Tills Namensgebung wahrscheinlich beide Bedeutungsebenen herangezogen wurden. Nämlich die ältere Tradition als Zeichen seiner geistigen Überlegenheit über seine Zeitgenossen und der verborgenen Weisheit in seinen Streichen. Zugleich aber deutet die Tradition des Mittelalters auf das zerstörerische und aufwieglerische Potenzial seiner Geschichten hin.
Neben dieser mehr intellektuellen Aufarbeitung liegen uns auch mehrere Wortspiele vor, die auf die Herkunft seines Namens weisen.
Am bekanntesten ist sicher der Ausspruch „ick bin ulen spegel“. Heute denkt man dabei vor allem an die Bedeutung als „Ich bin euer Spiegel“ beziehungsweise „Ich halte euch den Spiegel vor“.
Wesentlich derber ist jedoch eine Version, die heute kaum bekannt ist. Denn das mittelniederdeutsche Wort „ulen“ bedeutet auch „wischen“, und das Wort „spegel“ hat auch die Bedeutung Gesäß (nicht umsonst wird ja noch heute in der Jägersprache das helle Fell am Hinterteil von Reh und Hirsch als „Spiegel“ bezeichnet).
Der Ausruf „Ul’n spegel“ bedeute also „Wisch mir’n Hintern“, oder, vereinfacht gesagt: „Leck mich am Arsch“.
Eine Version, die mir weit besser gefällt, zeigt sie doch mehr von diesem derben Freidenker, der in eine für ihn zu enge Welt gepresst war, als uns die Kindergeschichten weiß machen wollen.
Und so denke ich, dass es viel ehrlicher wäre, wenn wir uns nicht nur an den Till der lustigen Streiche erinnern, sondern mehr noch an den Narren, der der Welt sein verzweifeltes „Leckt mich doch am Arsch“ zurief.