Das Byzantinische Reich erzeugt in unseren westeuropäischen Köpfen sofort Bilder: prachtvoll gekleidete Kaiser, mächtige Kuppeln und leuchtende Mosaiken, aber auch Dekadenz und Intrigen. Doch arg viel mehr gibt unsere klassische Schulbildung leider oft nicht her. Das geheimnisvolle und sagenhaft reiche Byzanz erscheint für uns weit weg – und dennoch hat es bis heute Spuren in ganz Europa und der Welt hinterlassen. In den über 1000 Jahren seiner Existenz war es mehr als einmal tonangebend und prägend für das Abendland, sei es politisch, religiös oder kulturell.

Die Geschichtswissenschaft teilt die lange Historie des Reiches traditionell in drei große Epochen – die frühbyzantinische (oder auch oströmische, ca. 330 bzw. 395-641), die mittelbyzantinische (ca. 641-1204) und die spätbyzantinische (ca. 1204-1453). Die Bürger dieses Reiches nannten sich niemals Byzantiner oder ihre Heimat das Byzantinische Reich. Auch die Bezeichnung als Oströmisches Reich wurde nicht verwendet. Diese Begriffe stammen aus der modernen Geschichtsschreibung. Viel eher sahen sie sich auch weiterhin als Römer, wenn auch die Kultur schon bald zunehmend griechisch geprägt werden sollte. Konstantinopel war rasch das politische, wirtschaftliche, religiöse und kulturelle Zentrum der östlichen Mittelmeerwelt. Neben Jerusalem war es zudem das wichtigste christliche Pilgerziel im Osten. Auch wenn Byzanz als der prächtigste Hof Europas galt und vom Westen um seine Pracht und seinen Reichtum beneidet wurde, so lebten die meisten Menschen des multikulturellen Reiches wie auch im Rest Europas: als einfache Bauern.

 

In der frühbyzantinischen Zeit darf die Herrschaft Kaiser Justinians im sechsten Jahrhundert als eine Blütezeit angesehen werden. Seine Generäle konnten weite Teile des ehemaligen Weströmischen Reiches wiedererobern. Trotzdem schwand die Macht von Byzanz in den folgenden Jahrhunderten zusehends. Gebiete gingen verloren, Militär und Wirtschaft schwankten und wurden reformiert, hinzu kamen religiöse und soziale Spannungen.

Von 876 bis 1025 war die sogenannte Makedonische Dynastie auf dem Kaiserthron und sorgte für einen seit Justinian nicht mehr dagewesenen Höhepunkt byzantinischer Macht und Prachtentfaltung. Die Künste und Wissenschaften erblühten ein letztes Mal und Konstantinopel war bis zu den Kreuzzügen die unangefochtene Wirtschaftsmetropole der Alten Welt.

 

Im Jahr 1453 wurde Konstantinopel nach fast zweimonatiger Belagerung von den Osmanen unter Sultan Mehmet II. erobert. Dies bedeutete das Ende des Byzantinischen Kaiserreiches und gleichzeitig den Aufstieg des Osmanischen Reiches zu einer Großmacht, die fortan Europa für Jahrhunderte direkt bedrohte. Konstantinopel wurde zur neuen Hauptstadt der Osmanen und blieb dies auch bis zur Entstehung der modernen Türkei ab 1922. Der Fall des „Zweiten Roms“ erschütterte das christliche Abendland und gilt als ein Datum, welches das Ende des Mittelalters und den Beginn der Frühen Neuzeit markiert. Zahlreiche Gelehrte flohen oder verließen Konstantinopel und fanden Zuflucht in Italien, zumeist Venedig. Dort beschleunigten sie unter anderem die italienische Renaissance. Byzanz war ein wichtiger Vermittler von Kultur und Wissen.

Bis heute wirkt die byzantinische Kultur aber vor allem im Ritus der östlich-orthodoxen Kirchen fort. Diese besitzt bis heute zahlreiche Gläubige in Osteuropa, auf dem Balkan und in Griechenland sowie in Kaukasien, wo die Kunst, die Architektur und das Brauchtum stark vom byzantinischen Erbe geprägt werden sollten. Während die ältere Geschichtsschreibung Byzanz oft nur als orientalisierte, dekadente Despotie betitelte, wurde dieser Ruf mittlerweile grundlegend revidiert. Das Byzantinische Reich war über Jahrhunderte eine Art „Schutzschild“ Europas gegenüber den Persern und Steppenvölkern der Spätantike und den Kalifaten und Sultanaten des Mittelalters.

 

(Ch. Sch.)