Schubert Interpreten
Heute möchte ich ein wenig über das Musikhören sprechen. Über das Problem der Interpreten in unserer Zeit und das Verschwinden einer aufgeklärten Zuhörerschaft.
Wenn wir ehrlich sind, dann sind die wirklich wichtigen Fragen nicht was wir heute zu Abend essen, welches Auto unser Nachbar fährt oder wer Fußball-Weltmeister wird. Was in unserem Leben wirklich zählt sind unsere tiefsten Emotionen: Liebe, Eifersucht, Schmerz, Einsamkeit, Freude oder Trauer.
Nirgends werden diese Gefühle ehrlicher und direkter ausgedrückt als in den Worten der Dichter, und am meisten berühren sie uns, wenn sie durch das Medium Musik zu uns sprechen.
Dabei kommt Schubert eine besondere Rolle zu, denn bei ihm ist das Empfinden für Sprache und Musik in gleicher Stärke vorhanden. Oder, wie es D. Fischer-Dieskau ausdrückte: „im Grunde ist er selber ein Dichter: Er dichtet in Tönen.“
Deshalb waren seine Lieder für Generationen der Inbegriff an Schönheit und gehören auch heute noch mit zu den Musikwerken, die am unmittelbarsten die Seele des Menschen berühren und tiefste Einblicke ins eigene Selbst ermöglichen.
Voraussetzung dazu sind zwei Dinge. Erstens muss man fähig sein die Musik auf sich wirken zu lassen um von ihr berührt zu werden. Und zweitens muss die Musik von Interpreten dargeboten werden, die die Gabe haben die Musik für die Zuhörer nachvollziehbar darzustellen.
In meiner Jugend dachte ich, dass es für jedes Werk nur eine einzige Interpretationsmöglichkeit gibt und dass jeder Musiker so lange üben muss, bis er das Stück auf genau diese Art wiedergeben kann.
Erst im Laufe der Zeit entdeckte ich, dass verschiedenste Interpretationen möglich sind. Dass es viele Arten gibt ein Musikstück zu empfinden, zu deuten und wiederzugeben.
Dabei ist das wichtigste Kriterium die Persönlichkeit des ausführenden Musikers. Sein Können und seine Erfahrung, aber vor allem der Mensch, zu dem er im Laufe seines Lebens geworden ist.
Doch vor allem beim letzten Punkt scheint es heute ein Problem zu geben, auf das schon D. Fischer-Dieskau hingewiesen hat.
„Eine ausgeprägte Persönlichkeit zu haben ist unabdingbare Voraussetzung für jeden Sänger. Aus genau diesem Grund könnte die Kultur des Liedgesangs ernsthaft bedroht sein: Die Betonung von Persönlichkeit passt immer weniger in unsere Zeit. Die gesamte kulturelle Entwicklung – sofern man das überhaupt Kultur nennen kann – strebt zur Nivellierung!“
Damit hat er schon vor zwanzig Jahren eine alarmierende Entwicklung angesprochen, die heute in ihrer ganzen Stärke bemerkbar ist.
Wir befinden uns in einer kulturellen Umbruchzeit die mit dem Fernsehen begonnen und durch die modernen Medien rasant an Fahrt aufgenommen hat. Wie bei jeder Entwicklung ergeben sich daraus Vor- und Nachteile.
Einer der Nachteile ist, dass wir noch nicht gelernt haben mit den neuen Medien auf eine Art umzugehen, dass sie unseren Geist und unser Gefühlsleben bestmöglich fördern. Wir gleichen noch immer verwöhnten Kindern die alles auf den Müll werfen das nicht glänzt und sich sofort erschließt und die sich stattdessen unreflektiert auf alles Neue werfen.
Dies spiegelt sich in unserem Verhalten, unseren Gedanken und in der Art, wie wir mit unserer Kultur umgehen und beeinflusst auch den Umgang mit unseren Kunstwerken, sowohl auf Seite des Publikums als auch auf Seite der Interpreten.
Ich lehne mich wahrscheinlich nicht zu weit aus dem Fenster wenn ich behaupte, dass die große Zeit der Interpreten vorbei ist. Natürlich wird es auch weiterhin wunderbare Musiker geben, ernsthafte Interpreten und Bewahrer des Schönen. Aber es wird nicht mehr zu dieser Fülle an Talenten und Persönlichkeiten kommen wie noch vor einer Generation.
Und vor allem werden sie ein immer kleineres Publikum haben.
Von den Sängern die ich liebe gibt es zum Glück unzählige gut erhaltene Aufnahmen.
Bevor wir uns mit den heutigen Interpreten befassen sollten wir einen Blick auf die letzte Generation an Künstlern werfen. Auf ihre Art des Musizierens, die entstanden ist aus einer Tiefe des Gefühls und Klarheit des Geistes, die heute selten geworden ist.
Ihnen gelang in den besten Momenten das, was der unsterbliche H. Prey seinen Schülern mit auf den Weg gab: „ Sich darauf konzentrieren, in die Seelen der Zuhörer zu dringen.“
Deshalb sprechen wir heute nicht über Musiktheorie. Lasst uns lieber versuchen ein Musikstück nicht nur als Noten auf einem Stück Papier zu sehen, sondern als einen lebendigen Organismus, den die Musiker auf ihre je eigene Art zum Leben erwecken.
Und hören wir, wie diese Musiker Schuberts Werke interpretierten.
Hört euch von jeder Aufnahme einen kurzen Ausschnitt an und entscheidet euch für die, die im ersten Augenblick zu euch spricht. Seid dabei so subjektiv wie möglich. Es gibt kein richtig oder falsch, was zählt ist einzig und allein euer Geschmack und das was ihr beim Hören empfindet.
Beschäftigt euch mit dieser Interpretation so lange bis ihr das Gefühl habt, dass sie ein Teil von euch geworden ist. Bis ihr davon durchtränkt seid und sie bis in die letzten Verästelungen hinein versteht.
Das kann beim fünften Durchlauf sein, beim zehnten oder später. Nehmt euch die Zeit, ihr werdet dabei mehr gewinnen als es jetzt scheint.
Denn wenn ihr eine vollwertige Interpretation verstanden habt, dann besitzt ihr eine Basis, von der aus ihr später gute von schlechten Darbietungen unterscheiden könnt.
Und ihr werdet euch nicht mehr alles vorsetzen lassen und recht bald erkennen, was nur glänzt und was wirklich Gold ist.
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