Was ist es, das uns müde macht und grau? Das unseren Rücken beugt, so dass wir niemals mehr die Sterne sehen?

Vielleicht sind es gar nicht unsere Jahre.

Alexanders Silberschilde etwa, mit denen er bis nach Asien zog, waren weit über Sechzig. Ein Alter, in dem die meisten von uns schon vor dem Ofen sitzen und ihre Füße wärmen.

Verloren in Erinnerungen.

 

Vielleicht werden wir gar nicht älter. Jedenfalls nicht auf die Art, wie wir es glauben.

Vielleicht haben wir einfach nur immer mehr zu tragen, an Erinnerungen, an Verletzungen, Gedanken und Gefühlen.

Vielleicht tragen wir irgendwann so viel, dass es diese Last ist, die uns nach unten zieht bis ins Grab.

 

Was tragen die Menschen, was schleppen sie einsam allein durch ihre Leben? Was knechtet sie so lange, bis ihr Rückgrat bricht?

Diese Fragen stellt sich auch Tim O´Brien.

 

Was sie trugen.

„Büchsenöffner, Taschenmesser, Brennstofftabletten, Armbanduhren, Erkennungsmarken, Abwehrmittel gegen Moskitos, Kaugummi, Bonbons, Zigaretten, Salztabletten, Kool-Aid Limonade, Feuerzeuge, Streichhölzer, Nähzeug, Soldbücher, eiserne Rationen und zwei bis drei Feldflaschen.“

 

Vietnam, 1965. Ein Jahr – ein ganzes Leben. Ein ganzes Leben gezwängt in 365 Tage, denen man niemals mehr entkommen wird.

„Warum schreibst Du nur über den Krieg?“ fragt ihn seine Tochter. „Schreib doch eine Geschichte über ein Mädchen das eine Million Dollar findet und sich davon ein Shetland-Pony kauft.“

Tim O´Brien kehrt zurück, äußerlich unversehrt, doch ein Teil von ihm hat dieses Land nie mehr verlassen.

 

Was sie trugen.

„M-60, M-16 und die M-79. M-14, CAR-15, schwedische Ks, automatische Waffen, erbeutete AK-47, Chi-Coms, RPGs, Simonow Karabiner, Uzis vom Schwarzmarkt, Revolver, Schrotflinten, Schalldämpfer, Totschläger, Bajonette und Plastiksprengstoff.“

 

Warum ziehen Menschen in den Krieg? Warum töten und warum sterben sie? Ohne Hass, ohne Wut und dabei voller Scham?

„Sie trugen die größte Angst des Soldaten, die Angst, rot zu werden. Sie starben, um nicht vor Verlegenheit zu sterben. Sie hielten durch. Sie schleppten, was sie zu schleppen hatten. Es war nicht eigentlich Mut, es ging nicht um Tapferkeit. Vielmehr war es so, dass sie zuviel Angst hatten, um feige zu sein.“

Ist es wirklich nur das? Wie können wir diese Schuld durch unser ganzes Leben tragen?

 

Was sie trugen.

„Jimmy Cross schleppte seine Liebe zu Martha über die Berge und durch die Sümpfe. Doch die Last dessen, was er sich aufbürdete, ging weit über das erträgliche hinaus.“

 

Was kann ein junger Mensch tragen?

An Ausrüstung, an Waffen, an Erinnerungen, bis er bricht?

 

Wir alle tragen an den Dingen, die wir nicht vergessen können.

„Ich sitze an der Schreibmaschine und sehe hinter den Wörtern, wie Kiowa in dem schlammigen Scheißefeld versinkt oder wie Curt Lemon zerfetzt im Baum hängt, und während ich darüber schreibe ist es nicht mehr nur eine Erinnerung, sondern es geschieht auf neue. Kiowa schreit um Hilfe. Curt Lemon tritt aus dem Schatten in den hellen Sonnenschein hinaus, sein braunes Gesicht glänzt, und im nächsten Augenblick fliegt er in den Baum.“

 

Was kann ein Mensch tragen?

Was kann ein junger Mensch tragen?

Tag für Tag, in dieser Welt, auch ohne Krieg?

 

Und wann hört dieser Wahnsinn endlich auf?

 

 

 

Zitate aus: Tim O´Brien, “Was sie trugen”, Fischer Taschenbuch, Übersetzung: Regina Rawlison